• Howdy, Freund! Du scheinst neu hier zu sein. Warum erstellst du dir nicht einen Forenaccount, um mitdiskutieren zu können? Du kannst dich hier registrieren.
    Du hast schon einen Forenaccount? Dann kannst du dich hier einloggen. Viel Spaß!

    Was denkst du zum Beispiel über diese Themen?

Der Spieler und das Milchgesicht

DeletedUser

Der Spieler und das Milchgesicht




„Tut mir leid, Sir, wir haben keine Zimmer mehr frei.“ Frank Moody fühlte sich wie ein Grammofon, dass immer wieder die gleiche Melodie spielt. Der Rezeptionist wies jeden, der das Hotel betrat, ab. „Vielleicht finden Sie ja noch einen Schlafplatz im Saloon.“ Die enttäuschten Gäste traten in die Hitze hinaus und waren sofort in Schweiß gebadet. Sie gingen langsam zum Saloon, vermieden dabei jede unnötige Anstrengung.
Aber auch dort würden die Besucher kein Glück haben. Henry, der Barkeeper und Saloonbesitzer hatte Schlafplätze in seinem Stall und ein paar Zimmer im ersten Stock des Saloons hergerichtet, die er zu horrenden Preisen vermietete. Sein Saloon war fast so schnell ausverkauft gewesen, wie das Hotel. Wer trotzdem in Tumbleweed bleiben wollte, schlief in einem Hinterhof oder auf dem hölzernen Gehweg unter dem Vordach irgendeines Hauses. Fuhrwerke, Kutschen und Pferde drängten sich Tag und Nacht auf der Hauptstraße des Städtchens und wirbelten den Staub auf der Straße auf. Die Menschen banden sich Tücher vor Mund und Nase um ihn nicht einzuatmen. Der Krach in Tumbleweed war ohrenbetäubend. Nur während der heißesten Stunden des Tages war es ruhiger.
So ging es in dem beschaulichen Städtchen nur während des „Tumbleweed Duel Contest“ zu. Während dieser einen Woche im Jahr versuchte jeder zwischen vierzehn und neunzig sein Glück. Die Kinder schossen auf Zielscheiben, die Erwachsenen aufeinander.
Auf den halb vertrockneten Weiden um Tumbleweed übten die Duellanten für ihren großen Tag. Sie schossen auf Flaschen, Dosen und andere improvisierte Zielscheiben. Viele Hasen und Vögel ließen bei diesen Übungen ihr Leben, aber auch das eine oder andere Rind fiel der Ballerei zum Opfer. Die Tiere wanderten in die Pfannen und Kochtöpfe der Leute, die sich die Preise für Essen im Hotel oder bei Henry nicht leisten konnten.
In der Stadt sorgten Rowdies für Unruhe, die den Contest nutzten, um zu randalieren. Im Saloon und auf den Straßen von Tumbleweed gab es ständig Schießereien und Prügeleien. Der Arzt und der Totengräber kamen, schon bevor der Contest begann, kaum zur Ruhe.


Die Luft im Saloon war vom Tabakrauch, dem Schweiß der Männer und dem billigen Parfüm der Tänzerinnen zum Schneiden dick. Ein Pianist hämmerte in die Tasten eines verstimmten Klaviers, doch keiner achtete auf ihn. Die Männer an den Tischen diskutierten, stritten sich, spielten Karten oder würfelten und riskierten immer wieder einen Blick auf Beine oder Busen der Tänzerinnen oder versuchten sie auf ihren Schoß zu ziehen. Dagegen wehrten sich die Frauen energisch. Wer sich gar nicht benehmen wollte, wurde von Henry selbst oder einem seiner Rausschmeißer vor die Tür gesetzt.
An einem Tisch in der Mitte des Raumes saß der „flinke Finn“. Er trug einen abgetragenen schwarzen Anzug mit viel zu weit geschnittenen Ärmeln, schwarze spitze Schuhe und einen flachen schwarzen Hut. Er war scheinbar nicht bewaffnet. Finn legte in aller Ruhe eine Patience. Kein Fremder wäre auf die Idee gekommen, dass er ein professioneller Falschspieler war. Finn sprach niemanden an. Er wartete, scheinbar ganz in seine Patience vertieft, bis andere ihn um ein Spiel baten. In Tumbleweed und Umgebung war er allerdings bekannt, sodass sich niemand aus dieser Gegend an seinen Tisch setzte.


Der alte Timber hinkte eilig durch die Küche von Henrys Saloon. Er warf Zutaten in Töpfe und Pfannen, rührte hier und dort um, schmeckte ab, würzte nach und richtete die Speisen an. Die Teller stellte er auf den Tresen. „Zweimal Steak mit Kartoffeln!“, oder: „Einmal gebackene Bohnen und einmal Fisch mit Fritten!“, rief er Maria und den anderen Tänzerinnen zu, die bei diesem Andrang auch bedienen mussten. Die Mädchen hasteten heran, griffen sich ein paar Teller und liefen zu den Tischen. Hinter vorgehaltener Hand flüsterten sie sich zu: „Ob das wirklich ein Steak ist? Man sagt, der Alte kann aus einem Stinktier und einem Straßenköter ein Festmahl zaubern, das du nicht vergisst.“
Am Tresen wirbelte Henry zwischen Gläsern und Flaschen herum, schenkte Bier und Whisky aus, wusch nebenbei gebrauchte Gläser ab und kassierte. Der Barkeeper grinste die ganze Zeit. Der Laden brummte, wie schon lange nicht mehr. Es hatte sich blitzschnell herumgesprochen, dass Timber ein begnadeter Koch war. Alle anderen in Tumbleweed, die Mittagstisch anboten, gingen so gut wie leer aus.


Der junge Mann, der den Saloon betrat, wirkte wie ein Kind, das Trapper spielt. Sein junges, bartloses Gesicht stand im Gegensatz zu seinem abgeschabten Anzug aus Wildleder, der schon einige Abenteuer überstanden hatte. Der schwere Armeerevolver, der in einem Halfter an der Hüfte des Jungen hing, war zu groß für seine zierliche Gestalt und seine kleinen Hände. Jeder, der ihn sah, war überzeugt davon, dass er mit dieser Waffe keine ernsthafte Auseinandersetzung gewinnen konnte. Gerade als das Milchgesicht auf Finns Tisch zuging, kam Timber aus der Küche. Sein zahnloses Grinsen erstarrte zu Eis und er lief, so schnell es seine zerschossene Hüfte erlaubte, in die Küche zurück. Milchgesicht baute sich vor Finn auf und starrte auf ihn hinunter.
„Was ist?“, fragte Finn. „Wenn du spielen willst setz dich hin, wenn nicht, lass mich in Ruhe.“ Der Junge sah unsicher auf den Spieler hinab, als hätte er eine andere Reaktion erwartet. Er zögerte einen Moment, dann stieß er hervor: „Ich will dein Leben!“
Finn sah neugierig zu dem jungen Mann auf. „Ich kenn dich nicht und hab dir nichts getan. Setz dich hin und spiel oder lass mich in Ruhe!“, wiederholte er.
„Erinnerst du dich an Bud Stinger?“
Finns Augen verdunkelten sich. Er erinerte sich nicht gerne an diese Geschichte. Bud war ein ganz junger Kerl gewesen, dem er beim Pokern ein paar Dollar abgeknöpft hatte. Leider hatte Bud seine Tricks durchschaut und ihn angegriffen. Finn war schneller gewesen, hatte ihm eine geknallt und der Junge war mit dem Kopf auf eine Tischkante aufgeschlagen. Er war sofort tot.
„Du erinnerst dich also! Ich bin sein Bruder Steve und ich bin hier, um dich zu töten.“
„Es war ein Unfall.“
„Blödsinn! Du hast falsch gespielt und als mein Bruder drauf kam hast du ihn umgebracht!“
„Er hat mich angegriffen, ich hab mich gewehrt und dann ist er auf diese dämliche Tischkante geknallt. Das war alles. Ein dummer Unfall, mehr nicht.“
„Kommst du jetzt mit raus oder soll ich dich gleich hier abknallen?“
„Kannst du mit dem Ding überhaupt umgehen? Woher hast du den eigentlich? Vom Opa geklaut?“, fragte der Falschspieler höhnisch. Wenn der Junge einen Kampf wollte, sollte er ihn bekommen, aber Finn würde sich jeden Vorteil verschaffen, den er kriegen konnte.
„Den hab ich von meinem Vater – und er hat mir gezeigt, wie ich damit umgehen muss. Mach dir also lieber um deine eigene Gesundheit Sorgen! Und jetzt gehen wir raus!“
Finn erhob sich langsam und ging, mit vor der Brust verschränkten Armen, vor dem Jungen auf die Schwingtür zu. Plötzlich hörte er hinter sich den entsetzten Schrei einer der Tänzerinnen. Er warf sich zur Seite und drehte sich gleichzeitig um. Eine Kugel schrammte knapp an seinem Ohr vorbei. Finn stieß die rechte Hand nach vorne, in der, wie hingezaubert, eine Deringer lag. Ein heller Knall ertönte und das Milchgesicht erstarrte mitten in der Bewegung. Der Junge fiel auf die Knie, kippte nach vorne und blieb auf dem Gesicht liegen. Finn rappelte sich auf während einer der Gäste sich über den Jungen beugte und nach seinem Puls tastete. „Er ist tot.“, flüsterte er. Zwei Männer hoben den Jungen hoch und trugen ihn zum Sargmacher. Finn setzte sich wieder an seinen Tisch, mischte die Karten und begann eine neue Patience zu legen. Henry brachte ihm einen Whisky. „Geht aufs Haus.“, sagte er.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Jigelp

Pubquiz-Champion
Ehemaliges Teammitglied
Klasse geschrieben. Du beschreibst sehr viele Details, transportierst die Stimmung super und eine Prise Humor ist auch dabei.
:up:
 

DeletedUser

Hallo Jigelp,

herzlichen Dank für deine Antwort auf meine Geschichte. So ein Lob tut der Seele gut. :)

See you,

Oklahoma-Bill

PS: kleiner Tip: Dein Link ins Spiel funktioniert nicht mehr. Error 404, not found.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

DeletedUser13032

jetzt hatte ich auch endlich mal Zeit, hier wieder reinzuschauen. Wirklich toll geschrieben, freu mich auf mehr !
 

DeletedUser

Danke Dave,

schön, dass dir die Geschichte gefällt.

Ich sitze schon an der nächten Geschichte dran. Da erfahrt ihr dann, was Oklahoma-Bill in den Westen verschlagen hat und was er hier bisher erlebt hat.

See you,

Bill
 
Oben