Frank tippte dem Riesen auf die Schulter. Obwohl Frank recht groß war, musste er dennoch den Kopf leicht in den Nacken legen, um Mister Pferdeschwanz in die Augen sehen zu können. Sven drehte sich mürrisch um. „Was willst du, ich bin beschäftigt.“ „Freundchen, du solltest dir ernsthaft jemanden in deiner Größe suchen.“ Sven drehte sich erneut um und widmete Frank seine volle Aufmerksamkeit. Im Saloon war es eine Spur ruhiger geworden, jedenfalls kam es Frank so vor. „Es gibt keine Frau, die meinem Kaliber standhalten kann.“ Er brach in ein dreckiges Lachen aus und Frank hielt die Luft an um nicht den Geruch aus Whisky und Knoblauchfahne einatmen zu müssen. „Geh weg von ihr, hol dir noch ein Bier an der Bar und dann zieh Leine. Schlaf deinen Rausch aus und geh morgen wieder aufs Feld arbeiten. Du hast doch Arbeit?“ Sven besah sich den muskulös wirkenden Mann genauer. „Sehe ich etwa so aus, als hätte ich keine?“ Frank hob die Augenbrauen. „Erwartest du darauf wirklich eine Antwort?“ Das war genug für Sven. Sein ohnehin schon aufbrausendes Gemüt, noch angestachelt vom Alkohol, ging mit ihm durch und er holte mit seiner mächtigen Faust aus. Für einen Durchschnittsbürger mochte es vielleicht aussehen, als würde Sven mit normaler Geschwindigkeit zu hauen. Doch Frank war darauf gefasst gewesen, dass Sven einer der langsameren Sorte im Kampf war. Grob, brutal aber langsam. Gekonnt duckte er sich unter der angeflogenen Faust hindurch, boxte ihm pfeilschnell zweimal genau in die Niere und ging dann wieder auf drei Schritte Abstand. Sven taumelte kurz, er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Schlag ins Leere gehen und ihn damit aus dem Gleichgewicht bringen würde. Erst als er sich wieder aufrecht und in voller Größe vor Frank aufbaute, spürte er den stechenden Schmerz. Doch die vielen Jahre in der eisigen Kälte Skandinaviens hatten den Schweden robust gemacht und er ließ sich nichts anmerken. Der gesamte Raum war verstummt, jeder verfolgte nun das Geschehen. Nichts ging über einen guten Zweikampf, vor allem wenn der bullige Sven mitmischte. Sogar die Musik hatte aufgehört zu spielen und Frank konnte Sven schnaufen hören. Es glitzerten bereits Schweißperlen auf seinem Gesicht und sein Kopf war rot. Frank vermutete, dass es aufgrund seiner Darbietung war. Er hatte Sven komplett aussteigen lassen und ihn vor allen hier gekränkt. Würde Sven ihn zu packen kriegen, wäre es aus. Frank versuchte sich zu entspannen, verlagerte sein Gewicht abwechselnd zwischen seinen Beinen. Links, rechts. Rechts, links. Dann fing er an eine Melodie zu pfeifen, die er seit seiner Kindheit kannte und liebte. Sie gab ihm Ansporn und war recht temporeich. Dabei hielt er stets den Augenkontakt mit seinem Gegenüber, der immer heftiger zu schnaufen begann. Wie ein Stier, der achtlos mit seinen Hufen scharrt, bevor er sich auf sein Opfer stürzt. „Hast du zugehört, Musiker?“. Aus dem anderen Ende des Saloons ertönte ein kleinlautes ‚Ja‘. „Gut, dann spiel es jetzt.“ Doch nichts geschah, der Musiker haute nicht in die Tasten, es blieb still. „Dann halt nicht – kann es los gehen?“ fragte Frank spöttisch. Doch anstatt zu antworten rannte Sven nur blindlings auf Frank zu.
Bevor Sven Frank zu packen bekam, duckte sich dieser erneut unter den gewaltigen Armen hindurch und stand nun wieder hinter dem Schweden. Schnell wie eine Klapperschlange ihre Opfer beißt, so schnell schlug Frank auf Svens Rücken ein. Gefühlte fünf Minuten später drehte sich der Riese endlich zu Frank und schlug wild um sich. Doch der Soldat hatte die Situation längst wieder unter Kontrolle. Langsam ging er ein paar Schritte um den heftig schnaufenden Sven herum. „Wollen wir aufhören?“ Als Antwort bekam er nur ein raues Fauchen. „Eine Chance gebe ich dir noch.“ Nicht anders als zu erwarten funkelten die Augen des Blonden nur böse. Zum ersten Mal seit langem öffnete er auch wieder den Mund. „Wenn ich mit dir Fertig bin, dann schick ich deine Überreste an deine Mutter.“ Frank zwinkerte ihm zu. „Immerhin trägt meine Mutter Kleidung bei der Arbeit.“ Provoziert rannte Sven wieder auf Frank zu. Der wartete ab, er konnte förmlich hören, wie die Massen um ihn die Luft einsogen. Kurz bevor er niedergewalzt wurde, duckte er sich. Keinen Moment zu spät. Während seine Beine leicht einknickten und sein Oberkörper sich nach vorne beugte, schnellte gleichzeitig seine rechte Faust nach oben. Das Gefühl Knochen auf Knochen durchzuckte Franks Arm und gab ihm die Bestätigung für einen harten Treffer. Noch mit voller Geschwindigkeit unterwegs, fiel Sven ausgkenockt gegen Frank und warf ihn mit zu Boden. Knapp verfehlte Franks Kopf eine hölzerne Tischkante. Sven, der über Frank war und etwas weiter vorne, knallte mit voller Wucht gegen diese Kante. Es gab ein hässliches Geräusch und als Frank auf den reglosen Schweden sah, musste er hart schlucken. Das war wirklich extrem blöd gelaufen. Eine riesige tiefe Schramme zog sich Quer über dessen Stirn. Blut war sofort ausgetreten und Svens Haare hatten auf einmal eine ähnliche Farbe wie die der Frau. Obwohl er es nicht nach außen hin zeigte, schmunzelte Frank. Wer so groß ist, fällt tief. Das war alles was ihm dazu einfiel. Er stand auf, klopfte sich auf die Kleidung, als wolle er Wüstenstaub loswerden, und sah demonstrativ auf seinen Gegner hinab. Nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens, blickte er in die Runde. Entsetzen, Freude, Furcht, Hohn und Fassungslosigkeit konnte er in den Augen der Gäste ablesen. Doch das eine Gesicht, nach dem er suchte, fand er nicht. Verwirrt ging er die Personen durch, doch er konnte sie nicht finden. Als die ersten Rufe nach dem Sheriff laut wurden, beschloss Frank zu verschwinden. Er eilte schnell nach draußen, niemand versuchte ihn aufzuhalten. Als er hinaus in die Kälte trat, fiel ihm sofort wieder ein, dass er seinen Mantel im Saloon vergessen hatte. Aber nichts konnte ihn wieder dort hinein bringen. Wer weiß, ob er noch einmal so einfach heraus käme. Nach einigen Schritten, der frisch aufkommende Schneefall hatte sein Hemd bereits durchnässt, sah er von weitem die rothaarige Frau. Gepackt von seinem Elan, sprintete er auf sie zu. Als sie ihn bemerkte, lächelte sie nicht wie er es erwartet hatte. Stattdessen legte sie lediglich den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. Etwas unsicher begann Frank das Gespräch.
„Ich, ich habe da drinnen gerade gekämpft, für dich.“
Sie nickte nur.
„Weißt du was er mit dir angestellt hätte?“
Wieder ein Nicken. Langsam wurde es Frank unwohl.
„Bekomme ich kein Danke?“
„Danke.“, sagte die Frau spitz, aber nicht unhöflich. Dann kam sie bis auf einen Schritt auf Frank zu.
„Woher kannst du das?“
„Kämpfen?“
„Nein, Stricken.“ Sie sah ihn ernst an. Frank wusste nicht, wie er reagieren sollte, da gab sie ihm einen leichten Schubs.
„Natürlich Kämpfen.“
„Sagen wir, in meiner Vergangenheit habe ich des öfteren mit Rüpeln wie Sven zu tun gehabt.“
Der Rotschopf hob interessiert die Augenbrauen.
„Nur in der Vergangenheit, klar.“ Sie zwinkerte. „Hast du vielleicht Interesse daran, dir wieder etwas Geld zu verdienen. Jetzt wo dein Arbeitgeber ermordet wurde.“ Er sah sie mit zusammengekniffen Augen an. Woher wusste sie das? Doch bevor er auch nur fragen konnte, fing sie wieder an zu reden. „Ich bin Journalistin, es ist mein Beruf über so etwas Bescheid zu wissen. Wie gesagt, hast du Interesse?“ Frank fing an zu lächeln. Konnte man diesem Zuckermund widerstehen?