Besser spät als nie
Es waren einmal zwei Städte, die beide im Goldrauschgebiet lagen und einander nicht besonders mochten. Die eine, Gold City, war ein wenig älter, aber ein ziemliches Höllenloch. Es gab einige eilig zusammengezimmerte Saloons, Ausrüstungsläden und die Postkutschenstation. Drumherum standen die Behausungen der Goldsucher, die in ziemlich erbärmlichem Zustand waren. Da gab es zugige Holzhütten und winzige Zelte, aber kein festes Steinhaus. Denn wer den großen Fund gemacht hatte, wollte so schnell wie möglich weit weg. Das lag an dem Problem, das Gold City plagte, denn dort trieb sich allerlei Gesindel herum und machte die Stadt zu einem Moloch, der mehr und mehr in brutalen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen versank.
Die Rädelsführer waren hauptsächlich die Saloonbesitzer, zu denen die unvorsichtigen Glücksritter kamen, die etwas gefunden hatten. Ziemlich häufig verließen sie den Saloon dann arm wie eine Kirchenmaus, wenn sie überhaupt noch gingen. Im Anschluss daran zog dann oft ein Rudel Revolverschwinger los, um den Fundort für sich zu beanspruchen und vor den anderen Banden zu beschützen.
All dies sorgte dafür, dass Gold City viel mit sich selbst beschäftigt war und die Konkurrenz aus One Stone Gulch erst spät bemerkte.
Hier, im benachbarten Silicon Valley traf eines Tages ein Siedlertreck ein und begann geschlossen damit, eine kleine Ortschaft aufzubauen. Schon bald war zu sehen, dass hier alle zusammenarbeiteten, statt zu konkurrieren. Eine kleine Gruppe gut gekleideter Männer fiel auf, denn sie halfen nicht mit, Holz zu zersägen, Balken zu schleppen und was sonst noch zu tun war, sondern redeten mit den Arbeitern, gaben Anweisungen und schauten immer wieder auf die großen Pläne, die sie auf einem Tisch ausgebreitet hatten.
Die Folge des ausgeklügelten Treibens war, dass sehr bald um ein Haupthaus herum eine Reihe mehrgeschossiger Wohnhäuser stand, die erstaunlich solide und hochwertig gebaut worden waren.
Im Haupthaus gab es alles: sämtliche benötigten Ausrüstungsgegenstände, Nahrungsmittel, eine Gaststube, das Büro der Planer und eine Kirche. Zu guter Letzt waren im Keller des Gebäudes die Lagerräume für alles, was die Bürger produzierten und abbauten.
Schon in dieser frühen Phase des Aufbaus standen Schilder an den Ortseingängen, die sich an Neuankömmlinge richteten.
[FONT=Georgia, serif]ONE STONE GULCH[/FONT]
[FONT=Georgia, serif]Fremder, du bist hier willkommen, wenn du ehrliche Arbeit verrichtest, nichts gegen Streber hast und keine Waffen führst.[/FONT]
[FONT=Georgia, serif]Andernfalls geh nach Gold City und versuch dein Glück...[/FONT]
Es kamen eine Menge Leute, die sich an die Regeln hielten und egal ob sie abenteuerlustige Neuankömmlinge waren oder erfahrene Goldsucher – viele kamen auch aus Gold City, wo es ihnen zu gefährlich wurde – für alle gab es einen Platz in der Gemeinschaft und man nahm sie freudig auf.
Die Stadt blühte und man erschloss nicht nur die Goldvorkommen der näheren Umgebung, sondern trieb auch Stollen in die Berge in denen große Funde gemacht wurden.
Im Keller des Haupthauses stapelten sich regelmäßig die Goldsäcke, bis sie mit einem schwer bewachten Treck abtransportiert wurden und im Gegenzug neue Vorräte ankamen. Es trafen immer mehr Leute ein, sodass die Postkutsche in sehr kurzen Abständen nach One Stone Gulch fahren musste.
Aber natürlich kamen die Probleme, denn in Gold City sah man nur ungern zu, wie die Goldfunde und die guten Leute schwanden und stattdessen immer mehr Gesindel und Schurken aufkreuzten.
Also schlossen sich die verschiedenen Anführer zusammen, um gegen die andere Stadt vorzugehen. Man einigte sich darauf, One Stone City, in dem es ja keine Waffen gab, mit geballter Kraft anzugreifen und dem Erdboden gleichzumachen. Danach würde man sich wieder gegenseitig bekämpfen.
Die Planer in der bedrohten Stadt jedoch hatten mit einem Angriff gerechnet und waren vorbereitet. Die Bürger verbarrikadierten sich in ihren Häusern, deren stabile Bauweise sich jetzt auszahlte. Die Angreifer stürmten zum Haupthaus aus dem eine Stimme erklang: „Ah, da seid ihr ja endlich, ihr Ganoven und Taugenichtse! Wollt ihr uns angreifen? Dann wisst, dass wir uns wehren.“
Als Antwort feuerten die Leute aus Gold City in Richtung der Stimme, aber weil sie durch einen verwinkelten Schalltrichter tönte, war dort niemand zu treffen und sie ernteten höhnisches Gelächter.
Dann flog ein Klumpen Gold durch die Luft und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Menge stürzte sich darauf und dezimierte sich selbst. Dann öffnete sich eine Klappe im Haupthaus und eine Gatling feuerte heraus.
Obwohl die Geschosse aus Gummi waren, gingen die Gauner aus Gold City schnell zu Boden oder machten, dass sie davon kamen. Doch die Stadt war mittlerweile von den Leuten des Goldtransports umstellt, die einige Tage länger geblieben waren und keine Probleme hatten, die Flüchtigen einzufangen.
Kurze Zeit später standen die gut gekleideten Männer vor dem gefangenen Gesindel Gold Citys. Einer von ihnen nahm den nachgemachten Goldklumpen vom Boden auf und warf ihn locker hoch.
„Viel zu leicht, findet ihr nicht auch?“
Der Klumpen fiel auf den Boden, plöppte leise und hüpfte leicht.
„Viel zu leise, findet ihr nicht auch? Nein, ihr seht nur das vermeintliche Gold, Reichtum und vergesst alles andere. Für dieses Ding hätte ich bei einem Händler nicht einmal ein Halstuch bekommen, aber für euch hat es gereicht.“
Der Mann machte eine Pause, lupfte seinen Zylinder und verbeugte sich leicht: „Wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt. Wir sind die neuen Herren des 'Wilden Westens', wir nutzen unseren Verstand statt unserer Fäuste. Ihr seid erledigt, aber nur das erste opfer des Siegeszugs der Vernunft, der Planung und der Berechnung. Was wir uns vornehmen klappt!“
Schon bald war die Eisenbahn nach One Stone Gulch im Bau und dem Fortschritt im Silicon Valley sind weiterhin keine Grenzen gesetzt.
„
Diese Männer haben natürlich alle in der Schule aufgepasst und damit den Grundstein für ihren Erfolg gelegt. Also hört auf mit dem Unsinn und lernt!“
Die Jungen, die gebannt zugehört hatten, gehorchten, legten ihre Schleudern und sonstigen Quatschutensilien weg und drehten sich gespannt nach vorne zu ihrer Lehrerin.