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Einen wunderschönen guten Tag...
ich bitte um Kritik, dieser Geschichte...eine Freundin hat sie niedergeschrieben, sie möchte gerne ein wenig Feedback..haut rein! ;)

[Name des Abschnitts]
Kapitel 1

Der Spielplatz fügte sich ins Bild, das man schon beim Betreten der Straße gewonnen hatte. Die Bretter waren mit Verzierungen sämtlicher Art geschmückt worden, wobei es im Gesamten wohl zur Hässlichkeit des Bildes beitrug. Zahllose Kraftausdrücke versteckten sich zwischen albernen Linien und Formen, die ohne erkennbare Liebe zum Detail aufgetragen worden waren. Zwischen all den schwarzen und eher dunklen Strichen tauchte ab und zu ein Herz auf. Man konnte fast erkennen, dass es liebevoll eingeritzt worden war. Zwei Buchstaben, die für die damals Glücklichen standen, prangten inmitten der zwei Halbbogen und schmückten das Kunstwerk, wie man es nur bezeichnen konnte, wenn man es mit dem Auge des Künstlers sah. Der Sand unter den Füßen knirschte aufgrund der Glassplitter, die sich inmitten der kleinen Steinchen versteckten. So manch ein Brett war durchgetreten, oder aber, dem fehlenden Respekt der Jugend zum Opfer gefallen, mit Urin verziert. Es war kein schöner Ort, zeigte er das Hässliche, das Unschöne an der Stadt. Der Platz diente nicht mehr seinem eigentlichen Nutzen, lachende Kindergesichter sah man jedenfalls weit ab dieses Spielplatzes.
Er stand vor dem Gerüst, an dem sich vor einigen Jahren noch Kinder entlanggehangelt hatten. Seine Finger fuhren an der Metallstange entlang, wobei sie manchmal einen klebrigen Klumpen berührten, der zuvor noch in den Mündern der Täter gesteckt hatte. Sein Blick ruhte derweilen auf der Schaukel, die sich leicht bewegte, als würde jemand auf ihr sitzen. Es war fast windstill, was der Schaukel eine Art Eigenleben gab. Im Endeffekt trug es nur dem schaurigen Effekt bei. In Wirklichkeit war es friedlich, fast schon zu ruhig, sodass selbst die leicht schwingenden Bewegungen der Schaukel außer Acht blieben. Er kniete sich hin und fuhr mit den langen Fingern durch den Sand, spürte die einzelnen Körner, die jedes eine andere Form hatten, waren diese noch so unverkennbar. Manche der Steinchen waren so spitz, dass man es nicht sehen konnte, er sie trotz allem spürte, wenn er sie zwischen dem Zeigefinger und dem Daumen rieb. Seine Finger umschlossen einen Glassplitter. Ohne zu zögern, schloss er ihn in der Hand ein und drückte fest zu. Er bildete sich ein, der Splitter würde seine Hand wärmen. Dann öffnete er die Hand wieder und sah hinab. Es war, als hätte der Splitter seine letzten Tage im Meer verbracht. Er war rund und hatte weder Ecken noch scharfe Kanten, an denen man sich schneiden konnte. Es war ein durchaus seltsamer Ort, wenn man so genau hinsah, doch nicht seltsam genug, als dass es die Jugendlichen an den Abenden fernhalten konnte. Sein Blick wanderte erneut zu den Herzen an der Wand. Es hatte nichts Fesselndes, waren sie verschändet durch die Namen der Jugendlichen, die ihre erste rosarote Brille auf der Nase trugen. Kaum ein Herz war für die Ewigkeit gemacht, wahrscheinlich keines von ihnen. Er richtete sich auf und setzte sich dann auf die Schaukel. Sein Körper schwang nun im Einklang mit ihr mit, sodass das Bild, was so manch einem zuvor erschrocken hätte, wieder an Normalität gewann.

*

Die Bahn kroch langsam, aber stetig aus dem Bahnhof und hinterließ einen unsichtbaren Dunstschleier, der sich über die Köpfe der Fahrgäste legte. Es schien, als würde das Grau der schlechten Luft die Köpfe der Menschen benebeln. Sie stierten mit starrem Blick zu den großen Anzeigen, die in regelmäßigem Abstand an einem Halter befestigt waren. Überall hörte man ankommende und abgehende Züge, die Rufe der Schaffner, die grellen Töne der Pfeifen, die im Mund der Bahnwärter steckten und die Abfahrt eines Zuges bekannt geben sollten. Menschen eilten über die Bahnstege, um ihren Anschlusszug nicht zu verpassen. Zu diesen Zeiten, wo man lieber auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgriff, war es nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Bahnen mal aussetzten. Menschen würden fluchen und sich auf die Verantwortlichen stürzen. Nicht etwa, weil sie die Ticketpreise bereits bezahlt hatten, vielmehr wurde es zu der Angewohnheit, sich zu beschweren, welch interessante Gesprächspartner man so verpasst haben könnte. Die Bahn galt schon zu früheren Zeiten zu einer Art Kommunikationsmittel. In den langen, staubigen Zügen wurden die meisten Freunde gefunden, die meisten Partner entdeckt und natürlich, dies sollte nicht ausbleiben, die meisten Ansichten und Meinungen ausgetauscht, oft mit weniger friedlicheren Gesichtern als Ausgang, aber immerhin mit vielen Informationen und Ansätzen, sein eigenes Denken umzukrempeln und sich der Geflogenheiten der Anderen anzupassen.
Dies wollte auch Anatolij für sich entdecken, dieses bisher ihm unbekannte Land, als er über den dritten Bahnsteg auf diesem Bahnhof schritt, auf der Suche nach dem richtigen Zug. Die rote Bahn, die genau in dem Moment einfuhr, machte ihm per Anzeige deutlich, dass er richtig war. Bevor er wie die anderen Fahrgäste einstieg, warf er noch einmal einen Blick zurück. Es gab keine Zweifel, hier musste er rein. Mit straffen Schultern betrat er das Flugzeug auf Rädern, wie er es zu nennen pflegte. Er mochte diese Art an Fortbewegung nicht, schenkte er hier viel zu sehr Vertrauen in die Zugführer und somit in ihm unbekannte Menschen. Er suchte sich ein Abteil, in dem ein Mann saß. Kurz schwankte er, sich ins Nachbarabteil zu setzen, doch als er den Blick des Mannes auf sich spürte, machten seine Beine kehrt und er setzte sich in den Sitz gegenüber. Seine Füße traten auf etwas Weiches. Erschrocken blickte er hinab. Eine Mischung aus Fell und ekliger Sabber blickte betreten an ihm hoch.
„Ist das Ihr Hund?“, fragte er den Mann gegenüber. Dieser hob den Kopf und sah Anatolij misstrauisch an.
„Da ich der einzige Fahrgast in diesem Abteil bin, ist es wohl mein Hund. Keine Angst, das ist nur Daphne, der ist einem nicht böse, wenn man ihm mit den dreckigen Straßenschuhen ins Gesicht tritt.“
„Der?“, hakte Anatolij nach. „Daphne ist doch ein Weibchen, oder?“
„Haben Sie vielleicht etwas gegen Männchen?“
„Nein, ich dachte nur…“ Verwirrt drehte er sich zur Seite und ließ die Bemerkungen seines Nachbarn auf sich wirken. Die nächsten Minuten vergingen schweigend, bis auf das leise Schnarchen des Hundes unter Anatolijs Füßen. Nach einiger Zeit drang ein anderes Geräusch an seine Ohren. Neben dem Schnauben hörte er nun ein Klappern. Dazu erreichte der leicht befremdliche Duft von Essen seine Nase. Er konnte den Duft keinem ihm bekannten Essen zuordnen, einzig und allein Ekel beschlich ihm. Während er noch darüber rätselte, was diesen Gestank verursachte, kramte sein Gegenüber plötzlich in der Tasche. Er zog einen arg mitgenommenen Geldbeutel aus der Tasche und nahm sich einen Schein. Wenig später wusste Anatolij auch, wofür dieser Schein war.
Die Waggontür schloss sich und der leicht penetrante Geruch verflüchtete sich langsam. Sein Blick war auf das Essen gerichtet, dass sich der Hundebesitzer gekauft hatte. Der Geruch ähnelte Hundefutter, mit dem Unterschied, dass selbst Daphne das Essen zu verschmähen schien. Er hatte seine dicke Nase in die Pfoten gepresst und gab merkwürdige Töne von sich. Angewidert rückte Anatolij noch dichter ans Fenster, sodass seine Schuhe nicht mehr unter den Pfoten lagen und der Gefahr liefen mit Sabber verunreinigt zu werden. Zu seinem Glück hatte Daphnes Herrchen eine kalte Platte bestellt, wie sie hier hieß, so blieb die Luft frisch, wenn man es denn so nennen mochte bei all dem Staub, der sich in den Ecken verfangen hatte und bei jedem Ruck von der Decke rieselte. Kaum war die Frau mit dem Wagen verschwunden, fuhr der Zug vom Hauptbahnhof los und entfernte sich genauso schleichend und langsam wie schon an der letzten Station, an der er eingestiegen war. Während sein Gegenüber mit nicht allzu glücklicher Mine die Folie vom Teller nahm und sich ein leicht welkes Salatblatt angelte, drückte sich Anatolij weiter in den Sitz hinein.

*
 

DeletedUser

weiter gehts!
Ich sah mit leicht verdrießlicher Mine auf mein Essen hinab. Seit zehn Stunden hatte ich nichts Ordentliches mehr gegessen und alles, was ich gewollt hatte, war ein einigermaßen akzeptables Essen, von dem man satt werden konnte. Ich hielt das Salatblatt zwischen den Fingern und untersuchte es nach schwarzen Punkten. Mich hätte es nicht einmal gewundert, wenn mir in dem Moment eine Schnecke ihre Fühler entgegengestreckt hätte. Angewidert schmiss ich das Blatt zurück auf den Teller und nahm stattdessen eine der Käsescheiben. An den Rändern war es schon hart, das Salz bildete sich bereits darauf ab.
„Guten Appetit“, hörte ich meinen Gegenüber sagen. Ich musterte ihn kurz von oben bis unten, wobei ich mir sicher ging, dass seine Füße nicht mehr verloren in Daphnes Gesicht hingen, dann schwenkte mein Blick wieder nach oben und blieb an den Knöpfen seines Anzuges hängen. Äußerlich konnte ich mich wenig mit ihm messen, waren seine Schuhe wohl mehrmals poliert wurden, sodass sein Anzug schon fast das Aussehen zweiter Klasse hatte, während ich hier mit dreckigen Haaren und Händen saß. Trotzdem schenkte ich dem leicht arroganten Blick keine Beachtung. Seit Jahren sah ich Leute wie ihn mit Vorurteilen an. Manch einer leistete sich einen Anzug, den sie öffentlich zur Schau trugen, steckten aber in Wirklichkeit so tief im Schuldenberg drin, dass Mitleid alles war, was man ihnen schenken konnte. Um seinen Blick auszuweichen, sah ich wieder hinab auf mein Essen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, die Scheibe würde sich vor meinen Augen kringeln. Mit einem flauen Gefühl im Magen warf ich die Käsescheibe zurück auf den Teller, verpackte alles mit der Folie und warf es dann in den kleinen Eimer, der unter dem Fenster angebracht war.
„Fünf Euro?“, fragte er mit leicht herablassenden Blick.
„In etwa, ja“, gab ich zurück und schwieg dann wieder. Allerdings gab er sich mit dem Fetzen als Antwort nicht zufrieden. Er räusperte sich, warf einen kurzen Seitenblick auf Daphne, dann meinte er: „Wenn Sie das nicht essen, wieso geben Sie es nicht Daphne?“
Ich dachte kurz über diese Wort nach, dann meinte ich: „Habe ich Ihnen erlaubt meinen Hund zu duzen?“
Ein verwirrter Ausdruck schlich sich zwischen all die kleinen Fältchen seines Gesichtes. Er brauchte einige Zeit, um zu antworten. Schließlich fragte er: „Ich duze Ihren Hund? Ich meine, ich dachte, er heißt so?“
„Na, und?“, erwiderte ich. „Ich spreche Sie doch auch nicht mit Ihrem Namen an.“
Die Worte schienen ihn noch mehr zu verwirren, als mein Gerede zuvor. Zufrieden sah ich, wie er sich abwandte und aus dem Fenster starrte. Ich hingegen warf Daphne ein Lächeln zu, fast grinste ich schon. Er hob kurz die Schnauze, schnupperte, ob sich die schlechte Luft verzogen hatte und steckte sie dann, weil seine empfindliche Nase wohl noch auf die kleinen Partikel in der Luft reagierte, zurück ins dichte, braune Fell.
Während der Mann mich in den nächsten Minuten gekonnt ignorierte und mir nur lediglich einen Blick zuwarf, dachte ich darüber nach, mit welchen Gedanken ich mich befriedigen konnte, wenn schon solch Blicke auf mir lasteten. Schon früher hatte ich gelernt, dass mein Leben einer Lotterie ähnelte, nicht darauf bezogen, zu warten, was man bekam, sondern auf den Gewinn bezogen. Ich hatte gelernt, wie es war, sich mit anderen zu vergleichen und dabei ein schelmisches Grinsen auf dem Gesicht zu tragen. Meine Eltern hatten schon immer gut verdient, vor allem für die Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen waren. Der gröchste Hauptgewinn, weshalb ich jetzt nur müde über meinen Gegenüber lächeln konnte, war meine Arbeit. Ich war Handwerker, womit ich alleine beim Klang dieses Namens mitleidig angesehen wurde, doch mein durchaus freundlicher Chef, wie sollte ich es anders nennen, gab seinen drei Mitarbeitern, mich eingeschlossen, mehr, als ihnen eigentlich zustand. Entweder hatte er viel geerbt, oder aber er verdiente sein Geld noch woanders, wobei ich mich nicht genauer damit beschäftigen wollte. Zu dem Geld kamen die freien Wochen, denn unter der Woche blieb der Kalender im Büro weiß. Wir hatten noch nie sonderlich viel zu tun gehabt, ein weiterer Grund, warum ich mit dem Geld, dass ich verdiente, zufrieden sein konnte. Die Frage, warum die Aufträge ausblieben, beschäftigte mich schon lange nicht mehr. Früher, wenn ich ernsthaft nach einer Antwort gesucht hatte, kam ich immer auf das gleiche Ergebnis: Die Menschen hatten kein Vertrauen in unsere Arbeit. Wenn sie einen Handwerker bestellten, dann doch nur, wenn sie selbst anwesen waren, also am Wochenende. Viel zu groß war die Angst vor Raub und Betrug.
Ich warf meinem Nachbarn noch einen Blick zu, dabei ein Lächeln auf dem Gesicht. Wahrscheinlich konnte ich mir mehr dieser Essen aus dem Zug leisten als er. Dann schwenkte mein Blick nach draußen, soweit es das dreckige Fenster zuließ. Mein verzerrtes Spiegelbild lächelte mir zu.
„Darf ich das Fenster öffnen?“
Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme dicht an meinem Ohr hörte. Er hatte sich vorgebeugt und es mir fast ins Ohr geflüstert, wobei seine Hand bereits auf dem Griff lag.
„Von mir aus“, meinte ich schulterzuckend. Er zeigte seine weißen Zähne, dann zog er das Fenster zu sich ran. Nach einigen Sekunden gab es nach und klappte auf. Wie auf Kommando füllte sich das Abteil mit eisiger Luft. Meine Nackenhaare stellten sich auf und die angenehme Raumtemperatur im Wageninnere schien sich in Sekundenschnelle auf gefühlte null Grad abzusinken.
„Frieren Sie?“, fragte er unsinnigerweise, da ich bereits meine Handflächen aneinander rieb.
„Sie etwa nicht?“, stellte ich die Gegenfrage.
„Nein, es ist angenehm.“
Mit diesen Worten setzte er sich zurück auf seinen Platz. Warum er mich überhaupt gefragt hatte, wollte mir nicht in den Sinn kommen, doch vielleicht war mein Kopf schon so unterkühlt von dem eisigen Wind, dass ich mich schwer tat mit dem Denken. Plötzlich erfüllte ein Piepsen mein Kopf. Ich dachte schon, dass mir die Kälte jetzt komplett einen Streich spielte, da sah ich, wie der Mann mir gegenüber sein Handy aus der Tasche zog und es aufklappte. Ich musste mir eingestehen, dass er vielleicht doch seinem Äußeren nach zu urteilen verdiente und der Anzug nicht nur zur Schau diente. Das Handy war ein neueres Modell. Bis auf die Tatsache, dass es wohl teuer sein musste, ließen sich für mich keine weiteren Schlüsse daraus ziehen. Ich selbst hatte ein ziemlich altes, dafür heiß geliebtes Modell, und kannte mich nicht sonderlich in dem Bereich aus.
„Anatolij“, meldete er sich. Ich sah wieder aus dem Fenster, meine Ohren waren jedoch gen Nachbarn gerichtet.
„Das kann nicht sein“, meinte er plötzlich im scharfen Ton. In der Scheibe sah ich sein Spiegelbild. Er starrte wütend geradeaus, im Prinzip sah er also mich an.
„Ich werde mich darum kümmern“, sagte er nun, allerdings auf Russisch. Ich erkannte es sofort und verstand es auch. Meine Eltern waren in Polen aufgewachsen, die Eltern meiner Mutter kamen ursprünglich aus Russland, sodass sie mich fast zweisprachig aufwachsen lassen haben. Seit einigen Jahren sprach ich diese Sprache kaum noch, allerdings reichte es auch aus, um die nächsten Worte zu verstehen.
„Später“, fügte er zu dem eben gesagten Satz hinzu. Ich sah durch die Spiegelung, wie er seine Stirn runzelte und sie sich in Falten legte. Wie ein Reflex tat ich es ihm nach, wobei ich mir ein Grinsen verkneifen musste.
„Ich beeil mich“, sagte er, worauf ich mich blitzschnell zu ihm umdrehte. Ich hörte ein Knacken und spürte dann, wie sich der Schmerz vom Hals aus bis in die Schultern ausbreitete. Anatolij lachte. Ich kniff die Augen zusammen und massierte meinen Nacken. Langsam verzog sich der Schmerz. Ich überlegte, was mich zu dieser Verrenkung veranlasst hatte, bis ich mir bewusst wurde, dass er wieder zurück ins Deutsche gewechselt war. Stirnrunzelnd beobachtete ich ihn. Äußerlich würde er mit einigen Abstrichen ins Bild eines Russen passen, doch auch Deutsch sprach er fließender als manch Türke, der schon seit der Geburt in dieser Stadt lebte. Für den Moment machte es ihn sogar sympathisch, fühlte ich mich auf eine komische Art mit ihm verbunden, obwohl meine Eltern aus Polen kamen, nicht aus Russland.
„Wir werden sehen“, meinte er, dann legte er auf. Bevor ich meinen Blick abwenden konnte, hatte er den Augenkontakt schon aufgenommen. Er lächelte mich an und auf einmal fühlte ich mich merkwürdig klein. Er sah mit einem Schlag viel älter aus, wie ich zuvor vermutet hatte. Ich mochte solche Leute nicht, die mit jedem Wimpernschlag wieder älter, oder jünger wurden, konnte man nie ihr Alter schätzen. Ich hatte schon Menschen kennengelernt, die ich zunächst Mitte Zwanzig eingeschätzt hätte und nur einen Blick später, den man ihnen schenkte, sahen sie plötzlich aus wie vierzig. Die Frage, wie man denn das Alter desjenigen schätzte, war in den Fällen besonders unangenehm, besonders dann, wenn er am Ende doch so jung war, wie man zunächst gedacht hatte.
 

DeletedUser

Einen hab ich noch!
Derweilen wurde der Zug langsamer, ein Anlass für mich, alles in eine Tasche zu stopfen und aufzustehen. Ich überlegte kurz, ob ich mich von meinem Nachbarn verabschieden sollte, doch mit der Gewissheit, dass er mir immer noch nicht ganz sympathisch war, trat ich hinaus in den Gang, ohne mich noch einmal an ihn zu wenden. Daphne kam mir mit schweren, tapsigen Schritten hinterher. Dass mir auch dieser Anatolij folgte, merkte ich erst, als der Zug endgültig zum Stehen kam und sich an der Tür eine große Menschentraube sammelte. Dies war die vorletzte Station auf dieser Strecke, weshalb sich neunzig Prozent der Fahrgäste zum Ausgang drängelten und sich gegenseitig die Ellbogen in die Rippen stießen. Als ich aussteigen wollte, spürte ich einen Stoß im Rücken. Ich stützte mich unbewusst an einem Pärchen vor mir ab, sodass ich nicht hinfiel. Ich beließ es dabei, ein Schnauben abzugeben und wandte mich dann, als meine Füße sicher den Bahnsteg berührten, dem Ausgang zu.
„Entschuldigen Sie“, kam es von hinten. In der Annahme, dass sich der Drängler entschuldigen wollte, murmelte ich „Schon in Ordnung“, und ging dann noch schneller.
„Sie verstehen nicht.“
Ich blieb stehen und wandte mich um. Doch vor mir stand kein Jugendlicher, wie ich es erwartet hatte, sondern Anatolij, der Mann aus dem Zug.
„Entschuldigen Sie“, meinte er erneut, „fahren Sie jetzt mit dem Taxi?“
„Haben Sie mich gerade geschubst?“
„Ob sie mich mitnehmen“, meinte er langsam, „hängt das jetzt von meiner Antwort ab?“
„Nein, das war pure Interesse.“
„Nun, ich war es nicht, nein. Also, fahren sie mit dem Taxi?“
„Kommt drauf an“, meinte ich.
„Ich zahle auch, das ist kein Problem.“
„Nein, das brauchen Sie nicht.“
„Also fahren Sie nicht?“
„Doch, aber ich zahle.“
Für einen Moment herrschte Stille, dann ließ er ein leises Lachen hören. Auch ich musste mir ein Lächeln verkneifen. Ich spürte, wie etwas an meiner Hand zog. Ich sah hinab auf Daphne, der mich mit großen Augen anstarrte und an der Leine zog. Ohne ein weiteres Wort gingen wir los. Es war nicht die Tatsache, dass er mir fremd war, weshalb ich diese Situation recht eigenartig fand. Ich war schon des Öfteren mit fremden Personen gefahren, sei es nur deshalb, um den halben Fahrpreis zu zahlen. Es lag viel mehr an der dringenden und forschenden Art, mit der er versuchte, mich auf eine gemeinsame Fahrt zu überreden. Normalerweise vereinbarte man gleich den halben Fahrpreis, doch was sein Ziel dabei war, wenn er alles selbst übernehmen wollte, wusste ich nicht.
Am Taxistand stand genau ein Wagen.
„Wenn das mal kein Wink des Herrn Schicksal ist“, meinte Anatolij lachend. „Wir sollten das nicht ignorieren.“
Er beugte sich zum Fenster des Wagens, um mit dem Fahrer zu sprechen, als mir eine Frage einfiel, die ich schon vorher hätte fragen müssen.
„Wohin müssen Sie überhaupt?“
„Wie Sie“, antwortete er.
„Wie ich? Woher wissen Sie denn, wo ich hin will?“
In der Dunkelheit, die sich bereits über die Stadt gelegt hatte, konnte ich nicht ausmachen, ob er rot anlief. Es schien jedoch nicht so zu sein, denn er richtete sich auf und sprach dann, ohne, dass ich eine Veränderung der Stimmlage bemerkte: „Ich denke mal, Sie wohnen außerhalb, oder? Wenn Sie in der Stadt wohnen würden, wären Sie entweder früher ausgestiegen, hätten sich von einem Freund abgeholt, oder würden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.“
„Analysieren Sie gerne andere Menschen?“
„Tu ich das denn?“
Die Frage unbeantwortend lassend, stieg ich hinten ins Taxi ein, zusammen mit Daphne, der sich zugleich über den ganzen Platz ausbreitete. Ich schob sein haariges Hinterteil von meinem Platz und setzte mich dann selbst. Der Fahrer warf mir einen misstrauischen Blick zu, kein Wunder, waren Tiere eigentlich ungern gesehene Fahrgäste.
„Ihr Hund“, fing er an, „der ist ziemlich groß.“
„Ja, kein Wunder, er ist eine Mischung aus Mastiff und Bernhardiner.“
„Ich nehme Hunde grundsätzlich nur im Kofferraum mit“, meinte er mit strenger Mine.
„Und wenn ich mehr bezahle? Daphne mag es nicht im Kofferraum eingesperrt zu sein.“
Ich sah, wie sein Gehirn arbeitete. Er öffnete seinen Mund und meinte dann langsam: „Nun, Ihr Hund, sabbert der?“
„Nein.“
Ich hörte, wie Anatolij diese Worte mit einer Gewissheit aussprach, als hätte er selbst schon Stunden mit Daphne verbracht. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu.
„Und ist sie läufig?“
„Es ist ein Er“, meinte ich mit aufeinander gepressten Zähnen. „Also, was ist? Nehmen Sie uns mit?“
„Wenn Sie Ihren Hund anschnallen.“
Seufzend legte ich Daphne den Gurt um. Dann reichte ich dem Fahrer einen Schein und sagte ihm, wo es hingehen sollte.
„Und es ist Ihnen wirklich Recht zu zahlen?“, meinte Anatolij, während der Fahrer, nachdem er uns noch einen letzten misstrauischen Blick zuwarf, den Motor an ließ und losfuhr.
„Kein Problem“, winkte ich ab. Mit der anderen Hand wischte ich Daphne quer über das Maul, weil er zu hecheln anfing, kaum spürte er, wie sich das Auto in Bewegung setzte.
„Nun, wer das teure Essen im Zug wegschmeißt, ohne auch nur ein Mal davon gekostet zu haben, der scheint auch noch Geld für eine Taxifahrt übrig zu haben.“
Dass er um einiges freundlicher darüber sprach als noch vor wenigen Minuten war ein Anlass für mich auf das Gespräch einzugehen.
„Nun, wer sich eine teure Uhr leisten kann, dem scheint es auch nicht so schlecht zu gehen“, meinte ich mit Blick auf den gewaltigen Klotz, der an seinem Handgelenk hing.
„Wissen Sie, das ist alles nur für das äußere Erscheinungsbild.“
Ich war erstaunt, dass er das so unvermittelt zugab. Ob ihn das symphatischer machte, mochte ich in dem Moment bezweifeln.
„Sie haben interessante Gesprächsthemen“, mischte sich der Fahrer ein. Georgij schenkte ihm einen mitleidigen Blick, doch ich war mir sicher, dass sich die Traurigkeit des Fahrers, bei unserem Gespräch nicht mitreden zu können, in Grenzen hielt. Zuhause wartete seine Frau, er war sicherlich glücklich verheiratet und hatte Kinder. Was machten da schon ein schlecht bezahlter Job und Fahrgäste, die sich ihrem Wohlhaben gegenseitig überboten.
„Sie analysieren die Menschen aber auch gerne, oder?“
Im Rückspiegel konnte ich das Lächeln meines Begleiters sehen.
„Haben Sie das gerade anhand meines Gesichtsausdruckes erkannt?“, fragte ich leicht verwirrt.
„In etwa, ja“, gab er wohl bewusst meine Worte aus dem Zug wieder. Ich ging nicht weiter darauf ein. Es war spät und so langsam wurde ich müde. Ich lehnte mich mit dem Kopf ans Fenster und stierte mit getrübtem Blick nach draußen. Die Straßenlaternen flogen förmlich an mir vorbei und erhellten alle paar Sekunden den Innenraum des Wagens.
 

DeletedUser

Also ich muss sagen eine etwas komplizierte Geschichte. Ich musst sie 3 mal lesen, um erstmal mich hinein versetzen zu können. Es gibt ein paar unschlüssigkeiten, welche die Geschichte etwas verwirren wobei:

Georgij schenkte ihm einen mitleidigen Blick, doch ich war mir sicher, dass sich die Traurigkeit des Fahrers, bei unserem Gespräch nicht mitreden zu können, in Grenzen hielt. Zuhause wartete seine Frau, er war sicherlich glücklich verheiratet und hatte Kinder. Was machten da schon ein schlecht bezahlter Job und Fahrgäste, die sich ihrem Wohlhaben gegenseitig überboten.
„Sie analysieren die Menschen aber auch gerne, oder?“
Im Rückspiegel konnte ich das Lächeln meines Begleiters sehen.
„Haben Sie das gerade anhand meines Gesichtsausdruckes erkannt?“, fragte ich leicht verwirrt.
„In etwa, ja“, gab er wohl bewusst meine Worte aus dem Zug wieder.

Dieser Auszug aus dem letzten Stück des letzen Zitates sehr verwirrend ist. Ich hoffe mal da kommt noch was den bisher fehlen mir manchmal ein paar zusammenhänge. Die spontanen Betrachterwechsel sind jedoch sehr gut, bis auf den übergang vom Spielplatz zum Zug. Da komm ich einfach nicht mit :o
 
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