Jeremy lief mit Maalik durch die Flure, darauf achtend, dass sie sich immer schön weit von der Schlacht entfernt hielten. Jeremy hatte die letzten Tage damit verbracht, die Gänge und den Aufbau des Anwesens genau zu studieren. Somit wusste er, welche Gänge Sean Plant auf seiner Flucht benutzen würde. McGallys Leute griffen den vorderen Haupteingang an, da sie dort, im Dickicht der Tabakfelder versteckt, am nahesten an das Landhaus rankamen. Sean Plant musste also die Gänge wählen, die am weitesten vom Haupteingang entfernt lagen. Seine Vermutung bestätigte sich, als er die eben genannten Gänge erleuchtet vorfand. Sean Plant musste sie nächtlich permanent beleuchtet gehalten haben für den wirklichen Ernstfall. Jeremy führte Maalik in ein Nebenzimmer. Dieses hatte er bewusst in die Route eingeplant, da Sean Plant hier eine Sammlung aztekischer Kulturschätze lagerte. Die Wände des Raumes waren übersäht von Goldfiguren, Federschmuck und anderem Zeugs. Jeremy deutete auf einen großen Speer mit einer Obsidianspitze. Maalik nickte und nahm den Speer von der Wandhalterung. Maalik lächelte zufrieden, denn mit dem Umgang einer solchen Waffe war er bestens vertraut.
Die Beiden hörten eine Stimme draußen in den Gängen. Es war eine zornige Stimme und beide erkannten sofort, wer da sprach.
„Dieser Hundesohn!“, brüllte Sean Plant durch die Gänge, „McGally will Krieg? McGally bekommt Krieg! Diesem eingebildeten Nordstaatenfabrikant werde ich zeigen, was ein stolzer Südstaatler drauf hat. Wir ziehen uns auf die Plantage von Wally zurück, von wo wir unseren Rachefeldzug planen werden.“
Jeremy wollte Maalik gerade den Angriffsplan zuflüstern, als er verstummte. Die Zornesröte ließ sich sogar auf Maaliks tiefdunkler Haut erkennen.
„MATEEWA!“
Dieses Wort brüllend, rannte Maalik aus dem Zimmer, wobei er durch die Tür brach, wie durch eine Papierwand. Jeremy rannte sofort hinterher. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte sich Jeremy vor lachen auf dem Boden gekrümmt, beim Anblick von Plants und Runakos verdutzten Gesichtern. Mit einem lauten Kampfschrei rannte Maalik, den Speer fest in der Hand, los. Jeremy wollte schon ein Seufzer erklingen lassen, da Maalik in seinem Zorn alle Planung außer Acht lassen würde. Doch diesmal irrte sich Jeremy, denn Maalik war sehr wohl noch bei Verstand, da das Ziel seines Ansturms nicht Plant sondern Runako war, den es als erstes auszuschalten galt. Die Speerspitze raste auf Runako zu. Jetzt konnte sich Jeremy vorstellen, wie es sein muss ein Stierkämpfer zu sein, von denen Natalia ihm erzählt hatte. Runako reagierte trotz der Überraschung schnell und sprang zur Seite, sodass Maalik an ihm vorbei rannte. Gekonnt bremste Maalik ab, wirbelte herum, erhob den Speer erneut und stieß nochmals in Richtung Runako. Auch diesmal wich Runako aus und es gelang ihm sogar den Stiel des Speeres mit beiden Händen zu fassen. Beide Krieger zerrten an dem Speer, welcher unter der immensen Kraft der beiden Riesen zerbrach. Maalik warf das zerbrochene Ende fort und stürzte sich auf Runako.
Jeremy und Sean Plant hatten das Spektakel wortlos verfolgt. Jetzt schien Sean Plant sich jedoch zu fassen und er griff nach einem kleinen Revolver, den er in seinem Anzug versteckt hielt. Jeremy erkannte die Gefahr für Maalik und sprang mit all seiner Kraft in Richtung Sean Plant. Jeremy legte sogar so viel Kraft in den Sprung, dass er über den Kopf des kleinen Sean Plant herüberflog und schmerzhaft auf dem Boden landete. Trotz dieser mehr als peinlichen Aktion, erzielte Jeremy den erwünschten Effekt, denn Sean Plant war von der Aktion derartig überrascht, sodass er vor Schreck den Revolver fallen ließ. Jeremy richtete sich auf und erhob die Fäuste gegen Sean Plant, welcher es ihm gleich tat. Sean Plant mochte zwar nicht weniger massenreich als Jeremy sein, aber Jeremy war fast zwei Köpfe größer als er, sodass er ihn durchaus im Zweikampf überwältigen könnte. Mit Schwung wirbelte Jeremys Rechte Faust auf Plants Gesicht zu. Doch dieser kleine watschelnde Geschäftsmann wusste sich besser zu verteidigen, als Jeremy erwartet hat. Durch seine geringe Größe gelang es Sean Plant sich unter dem Schlag hinwegzuducken. Mit aller Kraft schlug er Jeremy in die Magengrube. Der Schlag jedes anderen kräftigen Mannes hätte den schmächtigen Jeremy außer Gefecht gesetzt, doch Sean Plant war nun mal kein kräftiger Mann, sodass Jeremy nur ein wenig stöhnte und sich dann zu voller Größe aufbaute, um Sean Plant einzuschüchtern. Der Plan wirkte gut, zu gut, denn Sean Plant ergriff schlagartig die Flucht und watschelte erstaunlich schnell den Gang entlang.
Zur gleichen Zeit gelang es Runako die Oberhaupt im Geraufe mit Maalik zu gewinnen. Er warf Maalik zu Boden und hämmerte mit seinen Riesenfäusten solange auf Maaliks Schläfen ein, bis dieser betäubt liegen blieb. Sofort sprang Runako auf und griff nach Plants Revolver, der auf dem Boden lag. Er erhob ihn, richtete ihn auf sein Ziel aus und drückte ab.
Der Knall hallte im ganzen Gang nach. Jeremy hatte instinktiv die Augen geschlossen, doch als er sie öffnete, musste er feststellen, dass nicht er oder Maalik das Ziel gewesen waren. Mit einem hässlichem Geräusch fiel Sean Plant nach vorne um, während sein Blut, über den Boden floss. Erstaunt richtete sich der immer noch ein wenig benebelte Maalik auf und sah erstaunt erst auf Sean Plant und danach auf Runako, der immer noch den rauchenden Revolver erhoben hielt. Maalik sagte mit ersichtlich verwirrter Stimme etwas in seiner Muttesprache, die Jeremy nicht mal ansatzweise verstand. Runako drehte sich um, sagte ebenfalls etwas in seiner Muttersprache, ging auf Maalik zu, half ihm auf und die beiden umarmten sich. Runako wandte sich dem verwirrten Jeremy zu: „Das war alles ein ausgeklügelter Plan von mir gewesen. Ich habe mich Sean Plant nur angeschlossen, um ihn bei richtiger Gelegenheit umbringen zu können. Ich habe mich bewusst von meinem Stamm abgewandt, damit Sean Plant mir auch vertraute. Dieser Angriff wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, ihn loszuwerden. Dann seid ihr dazu gestoßen. Immerhin wurde Sean Plant jetzt für seine Taten gerichtet. Kommt wir müssen meine Stammesbrüder befreien.“
„Alles schon erledigt.“, sagte Jeremy lächelnd, „Wir hatten nämlich erstaunlicher weise denselben Plan wie du.“
Sie alle befanden sich auf einer großen Waldlichtung, nahe dem Ort, wo Jeremy und Maalik das erste Mal aufeinander trafen. Die Rauchfahne, die aus den Resten von Sean Plants Plantage aufstieg, war sogar hier zu sehen. Die befreiten Sklaven standen jubelnd beisammen. Die meisten von ihnen waren große Krieger, doch es waren auch Frauen mit ihren Kindern unter ihnen. Jeremy saß mit Runako und Maalik einwenig abseits des Geschehens im Schatten der Bäume zusammen.
„Wir haben dir viel zu verdanken.“, sagte Runako.
„Ja, du hast uns unsere Ehre und unsere Freiheit wiedergebracht. Wenn wir irgendetwas für dich tun können, dann sprich nur.“, sagte Maalik.
„Um ehrlich zu sein, es gibt da tatsächlich etwas, wobei ihr mit helfen könntet.“, flüsterte Jeremy den beiden ins Ohr.
Ende Kapitel 8