Samuel Flint Junior zum Kamf um 37 felices cabas
Es war inzwischen der zweite Verhandlungstag und nicht nur am Stand der Sonne ließ sich unschwer erkennen, dass die Mittagszeit hereingebrochen war. Vielmehr noch merkte ich es daran, dass ich seit gefühlten Ewigkeiten im Wartebereich des Gerichtsgebäudes saß und gelangweilt die verschmutzten Wände und Decken betrachtete.
Wie man sich sicher denken kann, war ich auch jetzt noch nicht sicher, welchem eigentlichen Sinne dieses Gerichtsverfahren dienen sollte, doch schon jetzt kam eine gewisse Gleichgültigkeit bei mir auf, denn ich begann das Ganze für eine Farce zu halten, denn es war nicht so, dass ich willkürlich zu Kämpfen befragt wurde; das hätte ich ja noch irgendwie verstanden. Nein, vielmehr war es so, dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, der Richter würde sich auf jene Kämpfe mit dem höchsten Unterhaltungswert konzentrieren und die anderen Kämpfe völlig unbeachtet lassen. Man konnte fast auf den Gedanken kommen, ich würde nur als Romanfigur gebraucht werden, doch natürlich war das völlig abstrus, denn es ging ja hier um die Gerichtsbarkeit, eine der fundamentalsten Grundsäulen unseres noch jungen Landes.
Wie auch immer, in der Zwischenzeit hatte mich der Richter nur kurz zu einigen Kämpfen befragt und jeden Versuch von mir, weit ausholend über diese Kämpfe zu berichten, im Ansatz erstickt.
Selbst als es bei einer Frage um einen Kampf ging, bei dem wir vor kurzem eine verheerende Niederlage bei einem Angriff auf die Caballeros hinnehmen mussten, akzeptierte er meine gestammelte Ausrede lächelnd, kündigte nur kurz an, mich im Anschluss zu unserem Angriff vom 29. September zu befragen und verabschiedete sich dann in seine – sehr ausgedehnte – Mittagspause.
Schließlich war es dann doch so weit, die Verhandlung wurde fortgesetzt. Der Hauptdarsteller – also ich – wurde vom Gerichtsdiener aufgefordert, den Verhandlungssaal zu betreten. Innerlich grinsend, jedoch mit gespielt ernstem Gesicht, betrat ich nun den Gerichtssaal. Wenn ich schon nichts anderes zu sein schien, als ein Darsteller in einem Schauspiel, wollte ich meine Rolle zumindest gut spielen…
Ein Festschmaus für Schakale
Ich suchte mir eine möglichst bequeme Sitzposition – keine wirklich leichte Übung auf den unbequemen Gerichtsstühlen – und folgte dann der Aufforderung des Richters, vom nächsten Kampfe zu berichten:
„Es war der Abend des 29. Septembers im Jahre des Herrn 1860.
Erneut war das 5. Kavallerieregiment ausgezogen, um die Caballeros aus einem Fort zu vertreiben und erneut waren viele dem Ruf zu den Waffen gefolgt und standen kampfbereit in unmittelbarer Nähe des Forts.
Viele standen bereit – ich jedoch vorerst nicht, denn während die meisten Kämpfer schon kampfbereit waren und auf den Beginn der Schlacht warteten, trieb ich mein schweißbedecktes Pferd durch die Wüste. Immer weiter nach Süden und einem Kampfe entgegen, an dessen Erfolgschancen ich zugegebenermaßen doch erheblich zweifelte. Schließlich erreichte ich das Fort und stieg gemächlich von meinem Pferde. Während ich noch einmal die schweißnasse Flanke des treuen Tieres tätschelte, überkam mich ein Anflug von Panik. Zu gut erinnerte ich mich daran, wie schlimm wir noch vor kurzem bei einem Angriff auf ein anderes kleines Fort der Caballeros untergegangen waren…“
An dieser Stelle unterbrach ich meine Schilderung kurz und schaute angespannt zum Richter. Mir war in jenem Moment eingefallen, dass ich ja noch kurz zuvor behauptet hatte, mich nicht mehr an den betreffenden Kampf zu erinnern, da ich in Folge meiner schweren Ohnmacht einen Gedächtnisverlust hatte. Doch der Richter hatte diesen Fauxpas offensichtlich nicht bemerkt, oder er gab sich große Mühe dabei, den Anschein zu erwecken, dass es so wäre, also setzte ich meine Erzählung fort:
„Hier war ich also, in der Nähe der Kojotenwiese und tatsächlich konnte ich in der Nähe des Forts unzählige Tiere erkennen, die hungrig auf der Suche nach Beute herumstreunten. Doch ich will schwören, dass es sich nicht um Kojoten, sondern vielmehr um Schakale handelte. Ich eilte nun also zum gegnerischen Fort, mischte mich unter die wartenden Kämpfer und lauschte der Ansprache des Kampfleiters. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ehrlich gesagt nicht, wo er seine Zuversicht hernahm, denn ich selbst rechnete mit einem erneuten Desaster. Doch schließlich ließ ich mich doch von der Begeisterung meiner Mitstreiter mitreißen, und stieß kraftvoll in meine Trompete, um den Angriff anzukündigen. Während unsere Truppen mit beeindruckender Geschlossenheit auf das Fort zuliefen, nutzte ich einen unbeobachteten Augenblick, um einen tiefen Schluck aus meiner mitgeführten Tequilaflasche zu nehmen, genoss das wärmende Gefühl, das sich in mir ausbreitete und war jetzt schließlich doch bereit für den Kampf, egal, welchen Ausgang er auch haben mochte.
Mit einem erneuten Trompetensignal stürzte ich mich in den Kampf, der innerhalb von wenigen Augenblicken aufflammte. Rasch tauschte ich nun meine Trompete gegen mein treues Gewehr, stürmte in Richtung des westlichen Walls und schoss auf die wenigen Verteidiger, denen es nicht rechtzeitig gelang, sich von Westwall und westlichen Türmen zurückzuziehen.
Rasch eilte ich nun weiter, postierte mich sturmbereit vorm Nordwestturm des Forts und erklomm, auf einen Befehl unseres Kommandeurs hin, eilig den Turm. Ein rascher Blick zeigte mir, dass meine Mitkämpfer dem Befehl ebenso eilig nachkamen, doch leider nicht überall, denn einem einzelnen Gegner auf dem südwestlichen Turm (dem Soldatenturm) gelang es, die Sturmleitern der Angreifer rechtzeitig umzustoßen und so den Turm vorerst zu halten. Es war mehr Über- als tatsächlicher Mut, der mich veranlasste meine halbleere Tequilaflasche in Richtung dieses einsamen Verteidigers zu schleudern. Eine eigentlich sinnlose Handlung, die jedoch überraschenderweise mit einem gepeinigten Aufstöhnen des Gegners belohnt wurde. Ich muss jedoch an dieser Stelle einräumen, dass die unzähligen Schüsse, die nun von meinen Mitstreitern abgegeben wurden, und den einsamen Wächter des Turms förmlich durchsiebten, vermutlich weit größeren Anteil daran hatten, dass dieser schon bald darauf sterbend vom Turme stürzte. Sofort wurden neue Sturmleitern angelegt und auch dieser Turm besetzt, während andere Kämpfer seitlich der Türme flankierende Positionen einnahmen. Ein beeindruckendes Schauspiel, wie ich zugeben muss, doch noch beeindruckender war es, die zunehmende Hilflosigkeit unserer Gegner zu sehen, die sich nach Kräften gegen unseren Angriff wehrten, doch ihre Positionen mehr und mehr gefährdet sahen. Kämpfer um Kämpfer stürzte von Mauern und Türmen, doch irgendwie schien es stets mehr Verteidiger zu treffen, während es in unseren Reihen meist rechtzeitig gelang, unsere schwer verletzten Mitstreiter in die hinteren Reihen zu schieben. Und so blieb dem Gegner letztlich nichts anderes übrig, als seine – nicht mehr haltbaren – Positionen zu räumen und sich nach Osten aus dem Fort zu flüchten. Weiter wild um mich schießend, folgte ich einem erneuten Befehl des Kommandeurs und schleppte mich – obgleich schon zu diesem Zeitpunkt erheblich verwundet – zum nordöstlichen Turm, um von dort aus das Feuer auf jene Verteidiger zu eröffnen, die sich dort noch verschanzten. Mit überraschender Geschlossenheit gelang es uns schließlich, die letzten verbliebenen Verteidiger niederzustrecken. Ich muss an dieser Stelle jedoch noch anmerken, dass ich in Zukunft wohl keinen Alkohol mehr trinken sollte, wenn ein Kampf bevorsteht, denn zu meiner Überraschung befand ich mich kurz vor Kampfende plötzlich auf dem Ostwall und es ist nur dem Glücke zu verdanken, dass ich diesen Ausflug überlebte.
Während meine Mitkämpfer dabei waren, die Fahne der „The Wild Horde“ zu hissen und damit begannen, unseren Sieg ausgelassen zu feiern, blieb ich noch etwas auf dem Ostwall zurück, spähte in die mich umgebende Dunkelheit. Schnell konnte ich einzelne Schemen ausmachen, die um das Fort herumstreunten, sich an den Gefallenen des Kampfes zu schaffen machten, begannen die Leichen zu zerreißen - Schakale. Und dann, als der Kampfeslärm aufhörte, in meinen Ohren nachzuhallen, konnte ich auch die Geräusche dieser Tiere hören, ihr Jaulen, ihr Bellen, ihr Schnauben. Doch irgendwie wirkte das alles auf mich, wie höhnisches Gelächter. Worüber mochten sie sich lustig machen? Über die Verlierer dieses Kampfes, die ihnen jetzt als Futter dienten? Oder vielleicht einfach über die grenzenlose Dummheit der Menschen, die sich so sinnlos gegenseitig vernichteten. In diesem Moment erschrak ich etwas, denn meine Gedanken führten auf einen Punkt zu, der sich mit meinem Dienst beim Kavallerieregiment nicht vereinbaren ließ. So schnell wie möglich verließ ich die Mauer und humpelte vom Blutverluste geschwächt zu meinen Mitstreitern, willens und bereit, das gefährliche Gedankengut in Alkohol zu ertränken…
Das war also die Geschichte dieses Fortkampfes, euer Ehren!“, endete ich gespielt ernsthaft, denn der wohlwollende Blick des Richters wirkte genauso unecht und einstudiert, wie dieses ganze Verfahren. Und während der Richter nun die Verhandlung für den heutigen Tag beschloss, konnte ich den nächsten Verhandlungstag kaum erwarten. Viel zu versessen war ich darauf, das wahre Geheimnis dieses Verfahrens zu erkunden und ein inneres Gefühl sagte mir, dass ich hierfür noch einige Zeit haben würde….