Steve überlegte, wem er zuerst helfen sollte. Natürlich musste die Person wohlhabend aussehen, nicht schlecht wäre es aber auch, wenn sie oder er schon fast tot wären.
"Ob der Herr da mich wohl vor seinem Ableben noch als Alleinerbe einsetzt?"
Er hatte sich einen älteren Mann ausgeschaut, der eine klaffende Wunde am Oberschenkel hatte und schon in einer Blutlache lag. Ein Arzt an der Ostküste hätte das Bein amputieren und ihn retten könne, aber hier war er verloren. Spätestens eine Blutvergiftung würde ihn dahin raffen. Und vorher würde Steve versuchen, ihm zu helfen.
"Sir, hören sie mich? Kann ich ihnen helfen? Sagen sie doch was!"
"Aaahh Junge, mir ist nicht mehr zu helfen, meine Zeit ist gekommen.", antwortete der Mann mit schwacher Stimme. "Aber sag mir, bist du Priester? Oder Oberministrant, Küster, irgendetwas in der Richtung?"
"Theologiestudent auf Missionsreise. Reicht ihnen das?"
"Ja, vollkommen mein Sohn. Hör zu, auf der Innenseite meines Jacketts ist eine Tasche, darin steckt eine Bibel. Nimm sie und such einen Psalm raus."
"Gerne, aber wozu das alles?"
"Ich möchte dir erzählen, dass ich in meinem Leben einiges angestellt habe, kleine Tricks und so etwas...Da muss auch noch ein kleines Fläschchen sein, hoffentlich ist es noch heile. Es ist Öl drin. Nimm etwas davon und gebe mir die letzte Ölung...mach schon!"
Jetzt musste Steve wachsam sein, um sich nicht zu verraten, aber er versuchte, seine Rolle so gut wie möglich zu spielen. Mit dem Öl machte er dem Sterbenden ein Kreuz auf die Stirn, während der erzählte:
"Ich bin so zu einem kleinen Vermögen gekommen, an der Börse geht das schnell. Ich heiratete, kaufte ein Haus. Aber dann starb meine Frau und..."
Mit diesen Worten wich das Leben aus dem Mann. Steve kniete neben ihm, die Bibel in der Hand und war erschüttert. Nicht etwa, weil soeben ein Mensch gestorben war, sondern weil er anscheinend vermögend war und Steve nicht einmal den Namen des Mannes kannte, von einer Einsetzung als Alleinerbe ganz zu schweigen.
Da fiel ihm ein Zettel auf, der hinten in der Bibel lag. Er betrachtete ihn und stellte fest, dass es das Vermächtnis des Mannes war. Er musste diese Jackentasche stets gut behütet haben. Auf dem Blatt stand:
"Dem, der dies hier liest, sei gesagt, dass ich ein wechselhaftes Leben hatte. Dem schnellen Aufstieg an der Börse folgte der schnelle Absturz in die Besitzlosigkeit. Ich machte mich auf in den Westen, um noch einmal mein Glück zu finden. Der Stamm der Kiowa gewährte mir einen Winter lang Unterkunft und den Einblick in ihre Bräuche. Dieses Wissen war mein zweites Vermögen. Doch ich zog weiter und kam nun auf meiner endlosen Reise ums Leben. Du kannst durch mich also nicht reich werden, dennoch danke für dein Interesse.
Gezeichnet, Peter Simpson"
Steve sackte zusammen und seine herbe Enttäuschung machte sich kurz Luft: "Pah, Indianer."
Dann riss er sich zusammen, half noch einigen anderen Verwundeten, die ihn anflehten, aber nichts besaßen und ging zu seinem Pferd zurück. Den Zettel vergrub er tief unten in der Satteltasche.