So ...
Fallout ... hinsetzen, Zettel und Stifte raus und mitschreiben, das ist jetzt wichtig!
Zuerst einmal ganz generell Dinge, die ich an den "neuen" Serien nicht mag: da fällt mir spontan zuerst mal die Episodenanzahl der einzelnen Staffeln ein. Sowas wär früher nicht mal als "halbe Staffel" durchgegangen. Früher gab's 13 Folgen, und wenn die - nach der
Pilotfolge sozusagen der Beta-Test für die Serie - gut ankamen, gab's die sogenannte
"back nine order", sprich, dann wurden noch so Pi mal Daumen neun Folgen gedreht, damit eine Staffel voll wird, also zumindest auf 20 Folgen kommt. Heutzutage werden bei Serien - egal ob
Star Trek: Strange New World (und aus dem Universum der
Dreck: Discovery und der
Halbschmutz: Picard ebenfalls) oder
The Witcher oder
Star Wars: The Mandalorien und wie sie nicht alle heißen
- irgendwas zwischen einer und zehn Folgen als "Staffel" bezeichnet. Ich fühl mich da immer, als hätte ich 4,50€ für eine Zeitung bezahlt und bekomme nur den Wirtschaftsteil. Also irgendwie gut Geld hingelegt aber dann nur die Hälfte (wenn überhaupt) dessen bekommen, was ich eigentlich erwarte. Das ist vielleicht auch dieser "neuen" voll modernen horizontalen Erzählstruktur geschuldet, die es Fernsehmachern anscheinend per Gesetzt und unter Androhung der Todesstrafe verbietet, einzelne Folgen abzuschließen und
nicht mit einem Cliffhanger enden zu lassen (
SNW vielleicht als Ausnahme). Wie man horizontales und vertikales Erzählen höchst genial und vergnüglich verbindet, kann man bei der ersten "Staffel" von
The Witcher bewundern ... ich vermute mal, dass der Rest der Serienschöpfer Hollywoods dafür einfach nur zu blöd ist, und vor allem zu wenig Phantasie besitzt, um eine Geschichte zu erzählen, die zehn Folgen überschreitet, aber bitte, bei
Fallout ist das horizontale Erzählen durchaus gelungen, wie ich zugeben muss ... dennoch will ich wesentlich mehr als diese läppischen acht Folgen haben, denn summa summarum ist die Serie geil!!!
Was mich in schöner Regelmäßigkeit zum Haareraufen anregt (gottseidank hab ich so viel davon), ist die Auswahl der Synchronsprecher manchmal. Bestes Beispiel:
Cobra Kai, richtig gut gemacht, und auf Netflix macht die Serie auch Spaß. Kaufst Du sie Dir allerdings auf Blueray oder DVD, geht der Spaß komplett flöten, weil die neu synchronisiert wurden. Warum? Ich hab nicht die leiseste Ahnung, wahrscheinlich irgendwas mit "Rechten", vermute ich mal. Aber so Schund geht auch mit der Erstsynchro: bei der ersten Staffel von
Fargo war es schlicht ein Verbrechen an der deutschsprachigen Menschheit, was da an Stimmen - bisherige Synchronsprecher für die einzelnen Schauspieler komplett ignorierend - als passend angesehen und den wehrlosen Ohren eingeflötet wurde. Und anscheinend machte dieser Murks Schule, denn
Fallout interessiert sich ebenfalls einen Scheiß für Kontinuität, was Sprecher angeht. Wer einmal Udo Schenk als
Michael Emerson gesehen/gehört hat, will keine andere Stimme mehr für ihn.
Walton Goggins wurde bisher sehr oft von Michael Deffert (u.a. in
The Shield) und Alexander Brem (u.a. in
Justified) gesprochen. Und der hatte noch so einige Sprecher mehr, so ist es ja nicht. Der gute Deffert ist leider gestorben, also musst er ersetzt werden, logisch. Aber mir fallen da auf Anhieb fünf Sprecher ein, die
Goggins Sprachduktus auch beherrschen, der Brem zB, verfluchtnocheins! Aber Amazon weiß es anscheinend besser und wählt einen Torben Liebrecht, der zwar noch nie im Leben
Goggins synchronisiert hat, aber er leiht seine Stimme irgendwem aus der Webserie
Cyberpunk: Edgerunners, das ist ja ungefähr das gleiche Setting, ist ja auch irgendwie dystopisch, also passt das schon. Eben nicht! Liebrecht ist mehr oder minder die deutsche Standardstimme von
Richard Armittage und
Tom Hardy. Und so sehr dessen Stimme zu den beiden passt (wobei ich bei
Tom Hardy auch schon bessere gehört habe), so sehr passt sie nicht zu
Goggins, weil sie dem das phonetische Augenzwinkern nimmt. Ich kenn die Serie noch nicht im Originalton, aber ich verwette meinen Hund drauf, dass dadurch
Goggins Charakter nur halb rüberkommt. Und nur fürs Protokoll: ich hab meinen Hund sehr, sehr lieb!
Aber für mich ist sowas ein Verbrechen, nicht ganz so schlimm, wie bei der anscheinend ja dringend benötigten Neusynchronisation meines Lieblings
Der weiße Hai,
Chief Brody mit der Synchronstimme von
Eddie Murphy (Randolph Kronberg, leider auch tot) zu versehen, aber alles andere als schön.
Wollt ich mal gesagt haben. Weiter zur Serie. Das Setting ist schlicht grandios. Früher wäre mir das wahrscheinlich manchmal zu viel CGI gewesen, aber Du kannst schlecht eine Stadt bauen, mal eben eine Atombombe drauffallen und aus den Trümmern dann etwas "Neues" bauen lassen ... obwohl ich schon wirklich Beeindruckendes von Setbauern gesehen habe ... aber das ist OK, das passt. Ich frag mich zwar immer noch, was das da für ein Wassermonster war (irgendeine Lurk-Abart? Ich kenn das nicht), aber allein schon
Mister Ordentlich (die medizinische
Mister Handy-Variante - der dreibeinige Roboter, der
Lucy's Organe will) ist mehr als gelungen, da freu ich mich schon auf meinen Lieblingsbegleiter aus der Spielereihe
ED-E, die bewaffnete Bowlingkugel, und auch auf die Supermutanten bin ich gespannt, die in der ersten Staffel fehlen ... und dann bitte den einen Supermutanten aus Fallout: New Vegas, der sich für einen Ghoul hält und verzweifelt seine Freundin, die "Ghoulette" sucht.
Was mir allerdings ein bisschen fehlt, das sind die ganzen mutierten Tiere, die es da gibt, fängt bei paddelbootgroßen Skorpionen an, geht über Blähfliegen und kängurugroßen Geckos bis hin zu den berüchtigten Todeskrallen (die sind zwar nicht mutiert, sondern durch ein Virus "erschaffen", führt aber am Thema vorbei). Ich hoffe, die kommen alle noch.
Aber das komplette Setting holt die Fans der Spiele ab. Du siehst Prospektoren, Karawanen, Brahmins (zweiköpfige Rinder), Kronkorken, Nuka-Cola, RAD-Kakerlaken, Stimpacks, komplett aus dem Spiel übernommene Passwortabfragen an Terminals, vor allem Pipboys,
Dogmeat spielt sogar mit undundund, bis hin zum
instant-heal beim Einschmeißen irgendwelcher Pillen oder Tränke. Mein erstes Spiel der Serie war
Fallout: New Vegas, und mein Herz tat einen Freudensprung, als
Kyle MacBlechmann (Powerrüstung) in der letzten Szene der letzten Folge über die
Mojave blickt und dort hinten am Horizont zeichnet sich die Skyline von
New Vegas ab mit dem riesigen Turm vom
Lucky-38-Casino. Ich erwarte jetzt nichts anderes als Ja-Sager, Mr. House, ein Restaurant für Menschenfleisch, eine Elvis-Gang, zig Waffendealer, Securitrons, die RNK-Truppen und auch Ceasars’s Legion (kleiner Spoiler: die ist alles, aber sicher nicht lustig), RAD-Skorpione, Raider, noch mehr Casinos, Kuriere, Ghule, die ins All fliegen wollen, und natürlich Cass, für die der Begriff „Zielwasser“ für Whiskey anscheinend erst erfunden wurde … und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Staffel zwo keinen
Harold zu sehen kriegen, einen Ghul, der aussieht, als hätte er sich mit einem Baum gepaart. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz, was ein großer Pluspunkt der Serie ist, dass sie sich eben nicht allzu ernst nimmt.
Und ich habe jetzt auch zwei einen neue Lieblings-Film/Serienzitate:
"Ich würde Dir ja 'ne Kirschtomate anbieten, aber ... naja, Du hast 'n Loch im Hals!" Dicht gefolgt von:
"In jungen Jahren mit der Cousine rumzumachen ist ja schön und gut, aber es ist keine nachhaltige und langfristige Sexualpraktik."
Die Schauspieler:innen sind durch die Bank gut bis sehr gut.
Lucy (Ella Purnell) bleibt da ausnahmsweise ein wenig blass, finde ich ... nee, falsch ausgedrückt. Die ist schon gut, aber mir ist die mit ihren tellergroßen Augen fast schon zu sehr auf Eye-Candy getrimmt, obwohl das Naive an der Figur anfangs sehr gut passt. Die Nahkampffähigkeiten nehme ich ihr so gerade noch ab, aber irgendwie passen die waffenlosen Kämpfe nicht zu der Figur, die sie bis dahin verkörpert. Das sind zwei Figuren, einmal das naive … Dummchen will ich gar nicht sagen, aber halt eine, die von der Oberwelt jetzt mal echt keine Ahnung hat, und die andere ist die
Badass-Ödland-Bitch ... die Evolution von der einen zur anderen Figur geht mir da einfach zu schnell und vor allem zu "argumentationslos" vonstatten. Du wirst ja von Cheerleaderin nicht zur
Lara Croft in acht Folgen, und obwohl der Figur viel Zeit gewidmet wird, so wenig wird darauf geachtet, dass sie auch glaubhaft ihren Charakter entwickelt. Klar, direkt am Anfang wird gezeigt, dass sie schießen kann und
Brazilian Jiu-Jitsu beherrscht (wobei ich ab da schon wusste, wie die Kämpfe aussehen: nämlich alle von irgendeinem MMA-Kämpfer choreographiert … langsam langweilt mich das ja). Aber das Können bzw. Wissen ersetzt nicht das reflexartige Umschalten von Naivchen zu Killer-Kröte, dafür wird ihr einfach zu wenig übel mitgespielt. Die kommt aus dem Bunker, naiv wie eine Vierjährige, dann wird sie zweimal in Wasser getaucht, einmal um eine Flasche Wasser betrogen, ihr wird ein Finger abgeschnitten, und plötzlich ist sie die Schwester von
Alice aus den
Resident Evil Filmen? Da wäre es vielleicht wirklich besser gewesen, man hätte bei manchen Szenen mit ihr einfach ein "Stärke +1", "Ausdauer +1" oder "Wahrnehmung +1" wie man das halt aus den Spielen kennt, dann wird auch klar, dass sie sich „entwickelt“.
Maximus (Aaron Moten) spielt brillant den Jungen aus der Bruderschaft, tolle Mimik und manchmal lässt er seinen Blick auch einfach nur stehen, statt grimassenhaftes Overacting zu zeigen, wofür Jungschauspieler heutzutage ja berühmt sind – er zieht auch Grimassen, so ist es ja nicht, aber die passen in dem Moment auch, das ist eher Intensität denn Overacting. Perfekte Besetzung für die Rolle. Für mich die Schauspielentdeckung des Jahres, Wahnsinns-Mimik - dem nimmst Du jeden Satz ab, und manchmal hast Du das Gefühl, Du könntest seine Gedanken lesen/hören, genial! Unfassbar gut, er transportiert den kompletten Werdegang der Figur sehr, sehr Glaubwürdig – zugegebenermaßen ist seine Figur, was das angeht, auch wesentlich einfacher als
Lucy's Charakter, denn sie muss sich nicht großartig verändern. Aber von dem war ich echt überrascht, weil ich ihn mal überhaupt nicht kannte.
Walton Goggins - und da schließe ich mich Birdies Meinung vorbehaltlos an: kann der überhaupt schlecht spielen? Wenn ich eine Rolle zu besetzen habe, die folgendermaßen umschrieben ist: Ghul, ehemals menschlicher Familienvater, schießwütige John-Wayne-Attitüde und coole Sprüche ... da muss ich nicht unbedingt
Justified gesehen haben, um mir die Besetzungscouch zu sparen und Goggins direkt einen Vertrag rüberzufaxen. Der passt wie Faust auf nicht vorhandene Nase. Aber diese Synchronstimme (s.o.) ...
Kyle MacLachlan, der große Kyle
MacLachlan als Hank Maclean, richtig, richtig gut. Der hatte in
Agents of S.H.I.E.L.D. noch so eine total überdrehte Rolle, und ich hatte fast schon vergessen, wie gut Mr.
Twin Peaks eigentlich sein kann, daran wurde ich dann zwei Minuten lang in der letzten Folge erinnert, wie er im Käfig saß. Einziger Wermutstropfen: man bekommt ihn nur in der ersten und letzten Episode zu sehen, was ich sehr schade finde. Ich hoffe, ab Stafffel zwo gibt's mehr von ihm.
Lucy's Bruder
Norm (Moises Arias) ... da war ich mir am Anfang ein wenig unsicher, weil die (Neben-) Figuren zumeist so überzeichnet sind, dass dessen sparsame Mimik anfangs nicht passte, aber am Ende ist sie einfach perfekt. Du meinst zwar spätestens ab Folge zwei, der macht jetzt einen auf
Daniel Craig und spielt Filme mit einem einzigen Gesichtsausdruck durch, aber
Arias unterspielt, ganz feiner Unterschied. Da kommt ihm die chronisch melancholische Grundstimmung seiner Figur zugute.
Und dann etwas, was ich wirklich, wirklich liebe: Cameos!
Michael Rapaport als Ritter Titus, sowas mag ich einfach. Für zwei Minuten einen bekannten Schauspieler einbinden und dann sterben lassen.
Mykelti Williamson hab ich erkannt,
Fred Armison auch (den kenne ich noch aus Zeiten, als SNL noch lustig war), und ich könnte schwören, ich hab Ponchorello (
Erik Estrada) gesehen. Als Regisseur hätt ich den ja auf ein Motorrad gesetzt.
Und da kommen bestimmt noch so einige Gastauftritte mehr.
Dr. House (Hugh Laurie) als
Mr. House wäre ja mein Favorit!
Die Kamera ist super. Es gibt da eine Szene, Lucy und Maximus küssen sich, dabei tragen beide jeweils einen abgetrennten Kopf unterm Arm, und die Köppe küssen sich dann unfreiwillig auch … mit sowas kriegt man mich ja.
Was ich manchmal ein wenig überflüssig finde, sind die Gewaltspitzen, wenn sie überhaupt keinen Zweck außer dem Selbstzweck erfüllen. Ich meine jetzt nicht die Gewalt im Allgemeinen, die gehört ja auch zu den Spielen, und Splattereffekte ebenfalls, aber warum muss da die Kamera manchmal sooo dermaßen draufhalten, dass Du meinst: "
Hey, Hostel – die Serie!" Da wäre etwas weniger viel mehr gewesen, finde ich.
Über die Musik muss man eigentlich nix mehr sagen, da bereits diskutiert: die passt einfach! Mir fehlt da lediglich so ein bisschen der Casino-Swing der 50er, also
Frank Sinatra,
Dean Martin und Co, aber das ist persönliche Vorliebe, ich verbinde halt
Fallout sehr mit Casinos. Aber bei der Musikauswahl gibt's nix zu meckern, eher was zum Applaudieren.
Erzählerisch leistet sich die Serie trotz ihrer
üppigen Anzahl an Folgen kaum Ruhepausen. In Folge drei und vielleicht auch vier geht es zwar ein bisschen ruhiger zu, aber alles in allem hast Du von Folge eins bis acht durchgehend Spaß. Wie bereits erwähnt, stört mich die Zahl acht in diesem Zusammenhang gewaltig. Denn wie geht das in den meisten Spielen dieser Art (
Skyrim,
Metro, eben auch die
Fallout-Reihe etc.)? Du hast eine Mainstory, die führt Dich zB vom tiefsten Süden der Karte bis hoch in den Norden. Aber bis Du die Strecke gelaufen bist, hast Du noch hundert Nebenmissionen zu erledigen. Du lernst zig teilweise echt skurrile Typen kennen, die alle unbedingt Deine Hilfe brauchen (in der First-Person- bzw. Ego-Perspektive sieht man halt nicht, dass man "
Sozialamt" auf der Stirn stehen hat), Du lernst verschiedene Gruppierungen kennen, erledigst für die Aufträge und entwickelst so Deine Figur. Es gibt kein Spiele-Genre, in dem die eigentliche Mainstory so unwichtig ist wie bei Rollenspielen (bestes Beispiel bei
Skyrim, das spiele ich fast ausschließlich nur wegen der Diebesgilde und der Dunklen Bruderschaft (und bin damit Wochen beschäftigt), der Rest ist "Beiwerk"). Bei Rollenspielen gilt: der Weg ist das Ziel! Und wenn man das beherzigt, hätte man die Staffel auch locker, ohne erzählerische Gräben und ohne, dass die Mainstory in Vergessenheit gerät locker auf 20 Folgen bringen können.
Großzügig, wie ich bin, vergebe ich 9/10 Punkten, denn für die Ideenlosigkeit der moderne-Erzählweise-hörigen Autoren kann die Serie nix.
Fallout: Ich kenne das Spiel nicht, aber ich liebe Endzeitfilme und -Serien
Unbedingt nachholen! Er möge losflattern, sich
Fallout: New Vegas als Ultimate Edition (weil
uncut) besorgen, bei den ganzen storylastigen DLC das Häkchen rausnehmen (die sind echt nicht so besonders) und losdaddeln. Was
Himmelsrand für TESV ist, ist die
Mojave für Fallout: New Vegas, Du wirst die Wüste mit all ihren Bewohnern lieben!